Autorinnenlesungen: Gröschner/Meier/Kebir/Streisand/Brasch
Annett Gröschner: "Ring über Ostkreut. Ruth Fischer auf dem Weg zur Arbeit"
Annett Gröschners Erzählung ist zugleich Momentaufnahme und Reise durch das Leben einer unangepassten Zeitgenossin Bertolt Brechts: Ruth Elfriede Fischer (1895-1961) war Philosophin, Redakteurin und Politikerin im ultralinken Flügel der KPD. An der Universität in Wien studierte sie ab 1914 Philosophie, Nationalökonomie, Pädagogik, Psychologie und Politik. 1918 war sie Mitbegründerin der KPDÖ In Wien und übernahm später eine führende Rolle in der Berliner KPD. Im Prenzlauer Berg trat sie in den 1920er Jahren aktiv für Reformen in der Sozialarbeit ein. Von Stalin ab 1926 wegen ultralinker Abweichungen aus der Partei geworfen und im Hotel Lux interniert, waren ab 1933 auch die Nazis hinter ihr her. Nach dem Krieg sagte sie vor dem „Komitee für unamerikanische Umtriebe“ gegen ihre beiden kleinen Brüder Gerhart und Hanns Eisler aus, worauf hin der eine inhaftiert und der andere ausgewiesen wurde. „Ring über Ostkreuz. Ruth Fischer auf dem Weg zur Arbeit“ ist als Hörbeitrag zu einer Ausstellung im Museum Pankow entstanden. Für die Online-Edition des Brechtfestivals trägt ihn die Autorin erstmals für Publikum vor.
Luise Meier: "MRX Maschine"
„Wenn die Ausgangslage eine Welt ist, die mit allen Mitteln versucht, uns zum Arbeiten zu verleiten, will MRX-Maschine mindestens selbst als Verschwendung von Arbeits- und Lebenszeit fungieren. Ihr Motto ist das Paradox: Jede leistet ihren Beitrag zum Projekt, keinen Beitrag zu leisten.“ Luise Meiers Manifest ist ein geheimer Gruß an alle Verweigerer und Blaumacher, sie ist Analyse Agitation und Aggression in einem – und für die Zeit des Zuhörens sind die Zuhörer*innen krankgeschrieben.
Luise Meier, 1985 geboren in Ostberlin, arbeitet als freie Autorin und Servicekraft. Studium der Philosophie, Sozial- und Kulturanthropologie und Kulturwissenschaften in Berlin, Frankfurt a. d. Oder und Aarhus. Ihre Texte für die Berliner Volksbühne sind unter www.volksbuehne.adk.de archiviert.
Lea Streisand: Hufeland Ecke Bötzow"
Sehr lebendig und irrsinnig komisch beschreibt „Hufeland Ecke Bötzow“ eine Kindheit und Jugend in Ostberlin vom Ende der 1970er bis Ende der 1990er Jahre. Im real existierenden Sozialismus erobern Franzi und ihre Freunde die Hinterhöfe des Bötzowviertels. Die Eltern diskutieren bei streng geheimen Versammlungen über die Zukunft des Landes. Die Mauer fällt, die DM kommt, aus den ersehnten Reformen wird die Deutsche Einheit. Pubertät und Post-Sozialismus fallen für Franzi in eins. Lea Streisand erzählt vom Erwachsenwerden in einer Zeit, die denkbar schlecht dazu taugt, neue Gewissheiten zu schaffen. Bis auf eine vielleicht: Demos sind eine „großartige Gelegenheit, Jungs kennenzulernen“.
Lea Streisand, geboren 1979 in Berlin, studierte Neuere deutsche Literatur und Skandinavistik. Sie schreibt für die taz und die Berliner Zeitung und hat eine wöchentliche Hörkolumne auf Radio Eins. Im Herbst 2016 erschien bei Ullstein ihr erster Roman „Im Sommer wieder Fahrrad“, außerdem sind Streisands Radiokolumnen im Ullstein Taschenbuch lieferbar: „War schön jewesen. Geschichten aus der großen Stadt.“
Sabine Kebir: "Ein akzeptabler Mann? Brecht und die Frauen"
Monster, Macho oder vielleicht doch ein akzeptabler Mann? Warum funktionierten die Beziehungen, die Brecht und seine Geliebten so langfristig verbanden? Kein Täter-Opfer-Verhältnis wird durch Sabine Kebirs Analysen bestätigt, sondern vielmehr der Versuch von Liebenden, aus der Nähe und Distanz, Ebenbürtigkeit und Autonomie ihre Partnerschaft zu fügen: ein Vorstoß in Neuland, der Achtung verlangt statt Mitleid für die einen oder Verdammung für den anderen. Letztlich kommt es an auf die Fähigkeit die eigene Eifersucht zu überwinden. Sabine Kebirs Interpretationen stellen im Streit um Brechts Partnerbeziehungen neue Fragen (War B.B. aus Treue polygam?) und geben Stoff zum Nachdenken über heutige Beziehungen zwischen Frauen und Männern.
Sabine Kebir wurde 1949 in Leipzig geboren und wuchs in Berlin auf. 1967-1972 Studium Italienisch, Französisch, Russisch, bis 1977 Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften in Berlin/DDR (Dr. phil.). 1977 Auswanderung nach Algerien. Dort Dozentin an verschiedenen Universitäten. 1988 Übersiedlung nach Westberlin. 1989 Habilitation im Fach Politologie. Seitdem tätig als Publizistin, Literaturwissenschaftlerin, Politologin und freie Autorin. Lebt in BerlinVeröffentlichungen u. a.: Ein akzeptabler Mann? Streit um Bertolt Brechts Partnerbeziehungen (1987, Aufbau Taschenbuch Verlag 1998); Antonio Gramscis Zivilgesellschaft (1991); Eine Bovary aus Brandenburg (Roman, 1991); Zwischen Traum und Alptraum. Algerische Erfahrungen (1993); Ich fragte nicht nach meinem Anteil. Elisabeth Hauptmanns Arbeit mit Bertolt Brecht (Aufbau-Verlag 1997, Aufbau Taschenbuch Verlag 2000); Abstieg in den Ruhm. Helene Weigel. Eine Biographie (Aufbau-Verlag 2000).
Marion Brasch: "Ab jetzt ist Ruhe - Roman meiner fabelhaften Kindheit"
Marion Braschs unwiderstehlicher Roman erzählt die Geschichte ihrer außergewöhnlichen Familie im Spannungsfeld zwischen Ost und West. Der Vater war stellvertretender Kulturminister der DDR, die Brüder, darunter Thomas Brasch, wurden als Schriftsteller, Dramatiker und Schauspieler bekannt.
Mit überraschender Leichtigkeit erzählt die »kleine Schwester« die dramatischen Ereignisse in ihrer Familie – Erfolg, Revolte, Verlust der drei Brüder – und folgt ihrem Weg durch Abenteuer und Wirren in die eigene Freiheit. Selten wurde eine Familiengeschichte so persönlich und bewegend erzählt wie in diesem Roman.
Marion Brasch wurde 1961 in Berlin geboren. Nach dem Abitur arbeitete die gelernte Schriftsetzerin in einer Druckerei, bei verschiedenen Verlagen und beim Komponistenverband der DDR, später fürs Radio. Bei S. Fischer erschienen die Romane »Ab jetzt ist Ruhe«, »Wunderlich fährt nach Norden« und zuletzt »Lieber woanders«.
Lea Streisand: "Im Sommer wieder Fahrrad"
Ellis Heiden war Schauspielerin und Lebenskünstlerin, „eine Frau wie ein Gewürzregal“, lustig, temperamentvoll und furchtlos. In den 1940er Jahren etwa schummelte sie ihren Bräutigam, einen „Halbjuden“, in einer abenteuerlichen Aktion nach Berlin und rettete ihm damit das Leben. Auch die Nachkriegswirren, Mauerfall und Wendezeit meisterte sie mit einer umwerfend unkonventionellen Haltung zum Leben. Für die Ich-Erzählerin ist „Mütterchen“, die geliebte Großmutter, Gesprächspartnerin und oberste Instanz, deren unkonventionelle Moral verblüfft und deren Weisheit und „Mutterwitz“ sie durch schwere Zeiten tragen.
© Hannah Dörr